Wer hat Angst vorm bösen Wolf oder: Klüngel im Wald

Gerda Laufenberg

Heftig beugte sich die Alte vor. “Mein Häuschen abreißen, mein Knusper-häuschen??? Um einen Freizeitpark anzulegen? Nur über meine Leiche!”
Und sie schlug dabei dem Wolf ihren Krückstock so heftig auf die Pfote, dass der jaulend hochsprang.
“Du alte Lebkucheneule! Die Pacht ist abgelaufen, in drei Tagen steht hier der Bagger!”
Und damit verschwand der Wolf, nicht ohne im Hinausgehen noch einen Lebkuchen von der Wand zu rupfen.
Die Hexe dachte nach.
Lange.
Dann schwang sie sich ans Telefon. Erst sprach sie mit Rotkäppchen, ihrer Weinhändlerin. Die kicherte bloss. “Der alte geile Kinderschänder wird sich noch wundern. Wenn ich die Story von mir und ihm an die Presse bringe… Ich kenne da eine, die nimmt mir das mit Kusshand…”
Versprachs und legte auf.
Hänsel und Gretel, die eine florierende Rechtsanwaltskanzlei betrieben, taten der Alten gern einen Gefallen. Hätte die Hexe damals nicht im Streit mit ihren Eltern so prächtig vermittelt, wären sie wahrscheinlich bei der RAF geblieben und hätten das Studium geschmissen. “Erst mal in die Pachtverträge gucken. Irgendeine Klausel wird sich schon finden, mit der wir alles verzögern können” erklärte Hänsel. Und Gretel riet der Hexe, sich auch an die grünen Zwerge zu wenden. Die Sache sei ein Politikum: Ein Freizeitpark in einem biologisch sooo wertvollen Waldgebiet? Nun ja, dass der Wald längst zersiedelt war, darüber könne man zunächst einmal hinwegsehen. Eine wohlüberlegte Anfrage im Waldrat… die grünen Zwerge würden schon dafür sorgen, dass heftige und langanhaltende Diskussionen die Sache um Jahre verzögerten.

Und die grünen Zwerge überstürzten sich geradezu. Erstens mochten sie den arroganten Wolf überhaupt nicht, der noch nie zu ihrem Neujahrsempfang gekommen war, und zweitens bewahrten sie die warmen Winterabende im Knusperhäuschen der Alten in guter Erinnerung. Sie waren so oft bei ihr versackt, dass sie glücklich waren, ihr helfen zu können.
Alle telefonierten mit allen.
Alle hatten eine Idee.
Die Presse berichtete jeden Tag von neuen Schandtaten des Wolfes, die Klagen wegen Kinderschändung und Waldfriedensbruch häuften sich, die Kunden sprangen ab und seine Freunde im Waldrat distanzierten sich von ihm.
Das Hexenknusperhaus wurde zum Baudenkmal des Jahres erklärt und ein “Förderkreis Lebkuchenhäuschen” sponserte den jährlich frischen Wandbelag.
Der wurde dann beim Neujahrsempfang der Zwerge gemeinsam geplündert.

PS: Mit der kleinen Abfindung, die der Waldrat dem Wolf als Entschädigung für die Übernahme des Knusperhäuschens zugestand, setzte er sich nach Polen ab. Da glaubt er allen Ernstes, noch den alten Respekt zu finden. Als nichtkatholischer Erzkapitalist ohne Freunde und Verwandte…